Siegfried Kracauer
[Der erste Teil der Sammelrezension behandelt u.d.T. Abstrakte Kunst zwei Filme von Moholy-Nagy]
Wunschträume
Die weibliche Angestellte, die mit einem Schlag ihrer Berufsmisere entrückt wird und als Frau irgendeines Millionärs in die höheren Sphären und Schichten einzieht: dieses durch die Wirklichkeit inzwischen reichlich desavouierte Thema behauptet sich merkwürdigerweise immer noch in den Filmen. Zwei Operettenfilme auf einmal wandeln es neuerdings ab. Der eine: EIN BISSCHEN LIEBE FÜR DICH ..., dessen Musik von Paul Abraham stammt, ist allerdings ein so nettes Boulevardstück, daß man ihm die soziologische Fahrlässigkeit schließlich verzeiht. Mag die Privatsekretärin immerhin den amerikanischen Autokönig kriegen - der Film macht gleichsam zum Entgelt für ihren Anstieg manche Schäden wieder gut, die andere Operettenfilme angerichtet haben. Er persifliert nämlich amüsant und nicht ohne Geist jenes Film-Wien, das mit seinen süßen Mädels, seinem Grinzing usw. nachgerade zu einer von der Filmindustrie ausgesogenen Traumkolonie geworden ist, die in keiner Hinsicht mehr an ihr Urbild erinnert. Natürlich will ihr der Amerikaner in Wien selber wieder begegnen. So steht er einmal verzückt vor einer kleinen Kneipe, aus der Heurigenmelodien erklingen, und glaubt schon, das in Hollywood geprägte Ideal herrlich bestätigt zu finden. Nach seinem Eintritt muß er dann enttäuscht bemerken, daß das Lokal gähnend leer ist und die aus dem Lautsprecher strömenden Melodien von Berlin gesandt worden sind. Der ganze Film ist überhaupt mit Witz verfertigt, und das gebrochene Deutsch von Georg Alexander hört sich echt amerikanisch an.
Peinlich dagegen ist das andere Operettenfabrikat: ZWEI IN EINEM AUTO, für das Joe May verantwortlich zeichnet. Eine Warenhausverkäuferin gerät durch ein Inserat und eine Verwechslungsgeschichte an einen englischen Lord, den sie aber lange Zeit für den einfachen Buchhalter und Autogewinner hält, auf dessen Inserat sie geantwortet hatte. Der unerkannte Lord und sie machen nun eine Autoreise nach Monte Carlo zusammen, deren Glanz die kühnsten Wunschträume törichter kleiner Mädchen um ein Vielfaches übertrifft. Die Reise wird schwül und schwüler, der Lord reich und reicher, und die Verkäuferin endigt als Mylady und Herrin eines Riviera-Schlosses. Ich weiß nicht, ob sich heute noch viele weibliche Angestellte durch solche Filme zu unwahrscheinlichen Hoffnungen bestimmen lassen. Aber ich weiß, daß dieser Schlagerfilm roh und erbärmlich ist. Er verkuppelt das Glück eindeutig an die hübsche Figur; er spiegelt Zustände und Prachtperspektiven wieder, deren gerade die niemals habhaft werden können, denen er sie bedenkenlos vorspiegelt; er profitiert von der Sehnsucht breiter Publikumsschichten, die er durch die brutale Spekulation auf ihre Begehrlichkeit nicht nur noch unzufriedener mit ihrem Dasein macht, sondern auch noch unfähiger, es wirklich zu ändern. (Romanowsky als Buchhalter: eine Gestalt von hinreißender Komik.)
Paris - Berlin
Julien Duvivier, der Regisseur des DAVID GOLDER-Films, hat ein Lustspiel: HALLO, HALLO - HIER SPRICHT BERLIN verfaßt und gedreht, das wie die vorigen Filme seine Hauptpointen aus Verwechslungen bezieht. Die Menschen, besonders die Angestellten, scheinen immer leichter verwechselt werden zu können. Ein Berliner Telephonist verliebt sich in die Stimme einer Pariser Kollegin und fährt nach Paris, um die deutsch-französische Annäherung zu vollenden. Berufsgenossen und Berufsgenossinnen schalten sich aber dazwischen, so daß die gewünschte Verbindung nicht zustande kommt. Erst in einem Berliner Tanzlokal finden sich ganz am Schluß beide Partner mit Hilfe von Tischtelephonen. Diese Irrungen und Wirrungen, deren Entwicklung auf der an sich glücklichen Tonfilm-Idee beruht, zwei Sprachen miteinander zu konfrontieren, verlaufen unter ermüdenden Parallelführungen und groben Späßen. Wenn man schon die Nationen zusammenbringen will, dann sollte man sich nicht so billiger Mittel und besserer Typen bedienen. Die eine Französin ist so aufdringlich wie irgendein internationales Mädchen, und die beiden Deutschen, die ihrem verliebten Kollegen zuvorkommen, benehmen sich in Paris täppisch und unerzogen. Umsonst versucht Duvivier, die spielerische Art René Clairs einzuholen. Er wird massiv, wo er leicht sein müßte, und mixt im bestreben, das Berliner und das Pariser Publikum gleichzeitig zu erheitern, Ingredienzien zusammen, deren Gemisch weder hier noch dort anzusprechen vermag. Am besten gelungen ist ihm unstreitig die Satire auf eine Fremdenrundfahrt durch Paris. Oper, Madeleine und Eiffelturm werden im Handumdrehen abgemacht, und die Fremden, die wie der Blitz vorbeischießen, nehmen nur Bruchstücke der Monumente in ihr Bewußtsein auf.
(Frankfurter Zeitung vom 19.3.1932)