Robert Walser
Ich will nur wenig über das Herren- und Angestelltenthema sagen. Tief schneidet das Problem in die Gegenwartszustände, worin es vor Existenzen zu wimmeln scheint, die Angestellte sind und die diesen besonderen Umstand manchmal außer acht lassen. Träumen wir denn nicht mitunter mit offenen Augen, sind sehend blind, fühlend gefühllos, horchend ohne Gehör, und stehen wir nicht gehend oft still? Was für eine Reihenfolge ruhiger, solider, ehrbarer Fragen! Ihr wirklichen Herrn, marschiere zu mir heran, damit ich wahrnehme, wie wahrhaftige Herrennaturen aussehen! Herren sind meiner Ansicht nach eine denkbar wertvolle Seltenheit, und ein Herr ist in meinen Augen ein Mensch, den hie und da das seltsame Bedürfnis anwandelt, zu vergessen, dass er ein Herr ist. Während sich die Angestellten dadurch auszeichnen, dass sie sich mit Vergnügen Herren zu sein einbilden, schauen von Zeit zu Zeit die Herren mit einer Art von leichtbegreiflichem Neid auf die Angestelltenfröhlichkeiten und – unbesonnenheiten herunter; denn mir scheint unzweifelhafte Tatsache zu sein, dass die Herren darin Einsame sind, dass sie in einem fort recht haben und sich infolgedessen danach sehnen, zu erfahren, wie das Unrechthaben schmeckt oder duftet, das sie nicht kennen lernen können. Die Herren dürfen tun und lassen, was sie wollen; die Angestellten nicht, die sich infolgedessen unablässig nach dem Disponieren sehnen, das sie entbehren, wogegen zu sagen sein könnte, dass die Herren oft ihr Befehlhaberstum gleichsam satt haben, lieber dienen, gehorchen, als anordnen möchten, worin sie ihr Dasein auf eigentlich recht eintönige Art aufgehen sehen. „Wie gern ich gelegentlich angeschnauzt sein möchte!, kann meiner Meinung nach dem einen oder anderen Herrn leicht in den Sinn kommen, indes die Angestellten von derlei Wünschen, die nie in Erfüllung gehen, nichts wissen. Reichtum allein ist es nicht, was den Herrn ausmacht, wie ein Angestellter nicht unbedingt ein armer Schlucker zu sein nötig hat. Ein Herr ist vielmehr meiner Überzeugung nach deshalb das, was er ist, weil er gefragt wird, wie ein Angestellter darum ist, was er zu sein meint, dass aus seinem Munde Anfragen schallen. Der Angestellte wartet; der Herr lässt warten. Warten kann jedoch bisweilen ebenso angenehm oder sogar noch angenehmer sein als Wartenlassen, wozu Stärke erforderlich ist. Ein Wartender darf sich den lieblichen Luxus des in keiner Weise Verantwortlichseins gönnen; er darf während er wartet, an seine Frau, seine Kinder, seine Geliebte usw. denken; Natürlich darf dies der Wartenlassende ebenfalls, wenn es ihm Freude macht. Es kommt aber vor, dass ihm die nichtssagende Figur des Wartenden absolut nicht aus dem Kopf gehen will, was ihn natürlich belästigt. »Jetzt lächelt dieser von mir Abhängige vielleicht außerordentlich friedlich vor sich hin«, denkt er, und er möchte vor beinahe fassungslosmachendem Herrenzorn vergehen, und dass eine solche gänzlich unbegreifliche Sorte von Zorn überhaupt möglich ist, gehört zu den Misslichkeiten des Herrenzustandes. Ein Herr sollte vielfach etwas wie ein Übermensch sein, und dennoch bleibt er Mensch, Mitmensch, und: »Zum Donnerwetter noch einmal«, ruft er, wie über sich selbst sozusagen erschreckend, aus, »hat er wohl bald genug gewartet, dieser mich mit seiner Geduld Marternde«, und er drückt auf den Klingelknopf, d.h. er versetzt diesem Knopf einen Schlag und sieht augenblicklich das Zwecklose der Entladung seines Wesens ein. Er fertigt einen dienstfertigen Eintretenden mit sehenswerter Theaterbrutalität ab und möchte das Schaf, das auf seine Beherrschtheiten oder Gemäßigtheiten wartet, tigermäßig fressen, und statt über eine enervierende Harmlosigkeitsexistenz vernichtend zu stürzen, wirft er Papiere, die ihn geschäftsmäßig anzuschauen scheinen, wirr, als wären es arme Sünder, durcheinander, und der Angestellte weiß in keiner Weise, was im Herrn vorgeht, den es kränkt, dass er eines Empfindens fähig ist, den es beleidigt, dass er dann und wann unglücklich zu sein vermag, den es innerlich beinahe zerschmettert, dass man ihn als Zerschmetterer betrachtet, was er nicht sein will, nicht sein kann. »Gestatten Sie mir zu helfen.« Unsäglich gut aufgelegt sind meistens die Schreiber derartiger Sprachwendungen, und unglaublich schlechter Laune kann in einem Menschen wohnen, der zu schreiben Anlass hat: »Ich nehme gern an, dies und das sei prompt besorgt worden.« Gehorchen, Befehlen werden durcheinandergemischt, der gute Ton beherrscht sowohl Herren wie Angestellte. Ich biete vorliegende Arbeit angestelltenhaft an und halte denjenigen, der sie in Erwägung zieht, für einen Herrn, dem ich wünsche, er mache sich mit der Genugtuung bekannt, eine Möglichkeit zu sehen, was ich ihm gebe, zu schätzen. Mein Motiv rührt freilich ein wenig an, als trete es dem Leben zu nahe, das vielleicht wesentlich zu zart geworden sein mag. Wodurch wurde es so? Will es sich ändern oder will es so bleiben? Warum frage ich dies? Warum kommen viele Fragen zu mir, leise eine um die andere? Ich weiß beispielsweise, dass ich ohne Fragen leben kann. Ich lebte lange ohne sie, wusste nichts von ihnen. Ich war offen, ohne dass sie in mich hereintraten. Jetzt schauen sie mich quasi an, als wäre ich ihnen verpflichtet. Auch ich wurde, wie so mancher, zart. Die Zeit ist zart wie eine Hilfeflehende, Bestürzte. Die Fragen flehen und sind zart und unzart. Die Zartheiten verhärten sich. Der Nichtverpflichtete ist vielleicht der Zarteste. Mich z.B. machen Pflichten hart. Die Angeflehten flehen die Flehenden an, die dies nicht verstehen. Alle diese Fragen scheinen Herren zu sein, und die sich mit den Fragen beschäftigen, Angestellte. Die Fragen schauen sorgenvoll drein, und die sich um sie bemühen, sorgen für Vermehrung der Fragen, die ihre Beantworter für unzart halten. Der, der sich durch ihr Kommen keinen Augenblick im Gleichgewicht beeinträchtigen lässt, ist zart in ihren Augen. Indem sie ihm gelöst vorkommen, löst er sie. Warum trauen ihnen viele dies nicht zu?